Rede zur „Reclaim the Night“ Demo am 7.3. in Regensburg

Wir erzählen euch heute mal davon, wie wir uns eine Nacht ohne Angst in der befreiten Gesellschaft vorstellen:

Es ist 2 Uhr nachts, du bist auf dem Heimweg von einer Party. Vielleicht warst du aber auch etwas länger bei Freund*innen oder hattest einfach Lust auf einen Nachtspaziergang. Du gehst durch den Stadtpark. Die Wege sind mit Lichtern ausgeleuchtet, aber nur so viel, dass du den Weg siehst und nicht stolperst. Nicht zu stark, um die Wildtiere, die dort leben, nicht zu sehr zu stören. Plötzlich raschelt es neben dir und du hörst einen hellen Schrei. Du erschrickst kurz, dann fällt dir ein: Du gehst gerade am neuen Naturschutzgebiet vorbei. Dort lebt ein Waldkauz, der gerade in die Nacht gerufen hat. Das Rascheln kam vermutlich vom Dachs, der dort seit kurzem wohnt. Du freust dich, dass diese Tiere ein Zuhause im Park gefunden haben.
Du spazierst weiter und gehst über den Bismarck-Platz. Dort sitzt eine Gruppe junger Menschen zusammen und trinkt Bier. Früher wärst du jetzt schneller gegangen. Du hättest dich unwohl gefühlt, weil du zu oft wegen deines Aussehens oder aufgrund deines Geschlechts angemacht worden bist. Heute nicht mehr. Heute grüßen sie dich freundlich und du grüßt zurück. Das machen alle Menschen in deiner neuen Stadt so, auch wenn sie sich nicht kennen. Die Gruppe bietet dir ein Bier an und fragt dich, ob du dich dazu setzen willst. Du lehnst ab. Aber nicht, weil du Angst vor ihnen hast, sondern weil du deinen Spaziergang gerade sehr genießt.
Du gehst weiter durch die Altstadt, vorbei an den neu angelegten Blumen- und Kräuterkästen. Die Kinder der Stadt haben das in der Nachbarschaftsversammlung durchgesetzt und die Kästen bunt bemalt.
Ein großer, dunkel gekleideter Mensch kommt dir entgegen. Du kennst ihn nicht und erinnerst dich, wie du früher nach dem Schlüssel in deiner Tasche gegriffen hättest. Immer wachsam sein, immer nach einer möglichen Waffe zur Selbstverteidigung greifen. Heute nicht mehr. Heute grüßt du auch diesen Menschen freundlich und der Mensch grüßt zurück.
Du kommst bald am alten Galeria Kaufhof vorbei. Die Zeiten der schicken Klamotten und des teuren Schmucks sind vorbei. Jetzt ist dort ein Club. Viele schöne Nächte hast du dort schon verbracht. Entweder warst du verabredet oder du bist allein reingegangen. Es ist dort auch alleine immer schön. Du musst dir keine Sorgen machen, dass du dich gegen aufdringliche Kerle wehren musst. Auch braucht niemand Angst davor haben, irgendwas ins Getränk geschüttet zu bekommen. Die Menschen in deiner neuen Stadt wachsen mit dem Bewusstsein von Respekt und für die Bedürfnisse anderer auf. Niemand würde auf die Idee kommen, jemandem gegen deren Willen Drogen zu verabreichen. Drogenkonsum gibt es nur noch selten, dann aber freiwillig und mit dem Wissen, in sicherer Gesellschaft zu sein.
Weiter geht’s zum Dachauplatz. Du blickst nach links Richtung Donau. Du denkst daran, dass dort früher mal das Haus der bayerischen Geschichte war. Niemand hat heute noch Lust auf Prestige-Bauten. Stattdessen ist dort nun ein kleineres Museum drin, in dem Geschichte in einem vernüftigen Licht betrachtet werden kann. Der andere Teil ist eine Brauerei. Wenn schon, denn schon.
Du blickst Richtung Minoritenweg und musst schmunzeln. Da war sie früher, die Polizei, diese seltsame bewaffnete Gruppe, von der die Leute dachten, sie wäre für ihre Sicherheit und ihren Schutz zuständig. Mit diesem Mythos habt ihr in euerer neuen Stadt aufgeräumt, die Polizei gibt es nicht mehr. Neben dem alten Gebäude befindet sich nun ein Museum. Darin kann man sich neben der Funktion der Polizei für die Menschen früher auch über ihre Gewalt informieren. Als Mahnung. Was mit dem Gebäude, in dem die Polizei früher drin war, passieren soll, darüber waren sich alle in der Stadt einig: nichts. Ihr lasst es verfallen. Zu schön der Anblick, wie die Wände zunehmend unter Grafiti verschwinden und das Moos auf den Dächern und die Bäume aus den Fenstern wachsen.
Du gehst weiter Richtung Brücke zur Frauennotruf-Nummer. Die steht dort noch, aber nicht, weil sie noch gebraucht wird. Sie ist nun ein Denkmal, daneben steht eine Tafel, auf der du dich über die Geschichte des Frauennotrufs informieren kannst. Hinter der Nummer ist eine neue Schule: Dort findet feminstische Bildung statt für die, die noch in der alten Zeit groß geworden sind. Kinder lernen das im Kindergarten und in der Schule ganz selbstverständlich. Erwachsene Menschen lernen dort, wie sie an der Gleichberechtigung aller Geschlechter in ihrem Alltag arbeiten können, wie wichtig es ist, dass Care-Arbeit von allen wahrgenommen wird und wie Menschen die Bedürfnisse anderer und auch ihre eigenen wahrnehmen und vermitteln können. Auch was Gewalt ist, in welchen Formen sie sich zeigen kann und wie Menschen sie verhindern können wird dort gelehrt und gelernt.
Du bist fast zu hause und spazierst noch über den Friedhof. Dort ist es nachts besonders ruhig, nur ein leicher Wind weht durch die Bäume.
Noch ein paar Meter und du bist zuhause. Die Tür musst du nicht aufschließen, sie ist immer geöffnet. Warum auch nicht? Du legst dich in dein Bett und denkst kurz bevor du einschläfst daran, wie schön dieser Spaziergang war. Ob du so etwas nachts oder tagsüber machst entscheidet nicht mehr die Helligkeit am Tag und der Schutz, der durch die anderen Menschen, die tagsüber unterwegs sind, hergestellt wird. Sondern es entscheidet ganz allein deine Laune.

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